Nicht nur Straßen, sondern auch Schulen, besondere Plätze oder Konzerthallen sollen Personen ehren, die Wichtiges zu unserer Gesellschaft beigetragen haben. Sie repräsentieren welche Art von Errungenschaft wir als wichtig sehen und welche Art von Menschen wir späteren Generationen als Vorbilder setzten.
Es reicht ein Spaziergang, um zu sehen, dass dabei ein diverses Stadtbild in Leipzig nicht gegeben ist. Wir können am Augustusplatz, der übrigens auch 45 Jahre lang Karl-Marx-Platz hieß [1], die Tram über den Johannisplatz zur Roseggerstraße nehmen, benannt nach Peter Rosegegger. Oder wir gehen auf der Martinstraße an der Ernst-Pinkert-Schule vorbei. Oder wie fahren mit dem Auto, parken auf dem Martin-Luther-Ring Parkplatz und gehen dann über die Otto-Schill-Straße die Thomaskirche besuchen.
Es stellt sich also die Frage welche Arbeit, welche Errungenschaften wir wertschätzen und wen wir als Vorbilder sehen. Es ist die Frage an wen wir uns als Gesellschaft erinnern (wollen), wer unser Denken davon prägt und wer dabei vergessen wird.
Wer sind wir?
Wir sind eine vierköpfige Gruppe von Studierenden, die an der Universität Leipzig ein Projekt im Bereich der Digital Humanities im Wintersemester 2020/21 entwicklet haben. Auf der Suche nach einem passenden Thema fiel unser Blick auf das Leipziger Stadtbild und auf die dahinterstehende Debatte über die (Re)präsentation durch Straßennamen.
Unter uns ist keine Person ein heterosexueller, weißer, cisgender Mann. Wir sind eine Gruppe bestehend aus verschiedenen Geschlechtern, Sexualitäten und Ethnizitäten und dementsprechend sehen wir uns kaum bis gar nicht vertreten in unserer Stadt.
Wir fragen uns: Warum erkennen wir uns im Stadtbild nicht wieder? Warum haben wir das Gefühl das Straßenbild repräsentiere keine FLINTA* (Frauen, Lesben, intersexuelle, nichtbinäre, trans*gender, agender Personen und weitere marginalisierte Geschlechter)? Wie groß ist das Missverhältnis wirklich? Und wie würde unsere Stadt aussehen, wenn das Repräsentationsverhältnis umgekehrt wäre?
Was ist Questioning Street Names Leipzig?
Aus der oben ausgeführten Motivation entwickelten wir zwei Digital Humanities typische Forschungsfragen, die die derzeitigen Straßennamen hinterfragen sollen.
1. Gibt es in der Leipziger Straßenbenennung einen Gender-Bias? Wie können wir digitale Methoden nutzen um dies herauszufinden und die Größe des Bias' zu bestimmen?
2. Wir würde eine Leipziger Straßenkarte ausshen, die das Verhältnis repräsentierter Geschlechter umdreht? Wie können wir digitale Methoden zur Visualisierung nutzen und unsere Ergebnisse öffentlich zugänglich machen?
Zur Beantwortung der ersten Frage haben wir eng mit EqualStreetNames zusammengearbeitet. EqualStreetNames ist ein offenes Projekt. Beitragen nutzen die freie Software Open Street Map und offene Daten über Wikidata um für verschiedene Städte die Straßennamen bezüglich verschiedener Geschlechter zu analysieren und das Verhältnis zu visualisieren. Das Projekt entstand in Brüssel auf freiwilliger Basis und wird auf immer mehr andere Städte reproduziert.
Für die zweite Frage haben wir unsere FLINTA*Map erstellt. Wir wollen wir die prozentualen Anteile an nach heterosexuellen, weißen, cisgender Männern und nach FLINTA*-benannten Straßen nach und nach umdrehen und unser Ergebnis visualisieren. Wir tun dies einerseits um so vielen nicht gewürdigten Personen einen Platz in unserer Stadt zu geben. Andererseits wollen wir mit dieser, doch provozierenden, Karte einen Teil zu der Debatte hinzufügen, die bis jetzt unserer Meinung nach noch nicht zu Ende diskutiert wurde.
Wir sehen einen großen Vorteil in Open Source und Open Data, weswegen wir dieses Projekt so vielen Leuten wie möglich zur Verfügung stellen wollen, auf das wir es zusammen weiter verbessern können. Da wir verstehen, dass zusammenhangslose Daten zu Missverständnissen führen können, versuchen wir so gut wie möglich unseren Kontext eindeutig zu zeigen. Unsere Arbeit beruht teilweise auch auf bereits bestehenden Datensätzen z.B. nutzen wir die Strukturen von Equal Street Names. Außerdem agieren wir mit diesem Projekt im Sinne von Data Feminism von Lauren Klein und Catherine d'Ignazio und versuchen mit unserer Arbeit den Maßstäben von Data Feminsim so gut wie wir können gerecht zu werden.
Wir können nicht behaupten keine Diskriminierung in unserer Arbeit zu zeigen, denn wir alle sind in einer Welt voller Diskriminierung aufgewachsen. Unsere kleine Gruppe repräsentiert zwar marginalisierte Gruppen, aber nicht alle Formen von Marginalisierung. Wir sind verschiedenen privilegiert. Was wir allerdings haben ist das Bedürfnis unsere Gesellschaft Stück für Stück inklusiver zu gestalten und weniger privilegierten Personen die Aufmerksamkeit zu geben, die sie verdienen.
Die Kontextualisierung der eigenen Person im Spannungsfeld der wissenschaftlichen Arbeit ist notwendig, um Verzerrungen in der Erhebung, Darstellung und Verarbeitung von Daten entgegenzuwirken. Transparenz und Reflexionsvermögen spielen hierbei eine zentrale Rolle. [2] Die Verortung der eigenen Person in Zeit und Raum, in der Gesellschaft und in der Welt schafft Sichtbarkeit und kann dabei helfen, Projektionsfehler aufzuspüren. Im Patriarchat wird diese Annahme, die eigene Denk- oder Vorgehensweise sei typisch, um eine Art Bestätigungsfehler verstärkt: Die Mehrheit der Mächtigen erachtet die Bevorzugung von weißen cis Männern als Geschlechterneutralität, denn die Mehrheit der Mächtigen wird von weißen cis Männern gestellt. [3] Die Zuwendung zu einer vielfältigen Sichtweise, in der möglichst viele verschiedene Stimmen Gehör finden und Diversität mitgedacht wird, sehen wir als einen Weg hin zu einer pluralistischeren Generierung von Wissen. Wir erheben nicht den Anspruch Neutralität/Objektivität erzeugen zu können, sondern möchten klarstellen, welche Perspektiven wir bedienen können und welche explizit nicht.
Unser Grüppchen setzt sich daher wie folgt zusammen:
äußere Erscheinung
Gender
Sexualitäten
[1] „Augustusplatz“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 4. Februar 2021, 04:30 UTC. URL: [https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Augustusplatz&oldid=208413110](https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Augustusplatz&oldid=208413110) (Abgerufen: 22. März 2021, 12:35 UTC)
[2] D'Ignazio, C. a. (2020). Data Feminism. The MIT Press.
[3] Criado-Perez, C. (2019). Invisible Women. London: Chattus & Windus.